eco 22 www.grazer.at 29. JÄNNER 2023 Runder Tisch: „Mit einer Industrielehre AUSBILDUNG. Mit Experten von Andritz, AVL, Magna Steyr und Siemens und Lehrlingen selbst diskutierten wir über „Lehre in der Industrie“. Heute liegt der Fokus auf der Sicht der Unternehmen. Lehrling Martina Rittich (Magna Steyr), Helmut Röck (WKO), Bernhard Pesenhofer (Andritz), Lehrling Denise Haindl (Andritz), „Grazer“-Redakteur Fabian Kleindienst, Herbert Tanner (Siemens), Lehrling Armin Prettenthaler (Siemens), Lehrlinge Sophie Sommer und Christian Mörth (beide AVL), Christoph Urthaler (AVL) und Herbert Walser (Magna Steyr) in der Diskussion rund um die Lehre in der Industrie (von links startend im Kreis) Von Fabian Kleindienst fabian.kleindienst@grazer.at Es sind positive Zahlen, die sich aus der neuen Lehrlingsbilanz der WKO Steiermark (Details siehe Seiten 24/25) herauslesen lassen: Die Zahl der Lehranfänger ist im vergangenen Jahr erneut gestiegen, fast 43 Prozent der 15-Jährigen entschieden sich für eine Lehre. Gleichzeitig steigt der Bedarf der Unternehmen weiter an. In einem Runden Tisch diskutierten wir mit den Lehrlingsverantwortlichen der namhaften Grazer Unternehmen Andritz, AVL, Magna Steyr und Siemens – und auch mit einigen Lehrlingen selbst. Im Zentrum standen dabei die vielen Möglichkeiten, die eine Lehrausbildung in der Industrie bietet, sowie weiterhin weit verbreitete, veraltete Bilder dieser Jobs. Diese Woche fokussieren wir uns auf die Perspektive der Unternehmen, nächste Woche widmen wir uns den Aussagen der Lehrlinge. Starker Bedarf „Wir stehen aktuell vor der Herausforderung, im nächsten Jahr 77 Lehrstellen zu besetzen, ein All Time High. Gleichzeitig stehen wir vor der Challenge, dass die Zahl der Bewerbungen drastisch zurückgeht – ein Viertel weniger als im Vergleichszeitraum des Vorjahrs“, beschreibt Herbert Walser, Leiter des Berufsausbildungszentrums bei Magna in Graz, wie die aktuelle Arbeitskräfteproblematik sich auch im Lehrlingssektor niederschlägt. Hintergrund sei einerseits der demografische Wandel, andererseits kämpfe man immer noch mit veralteten Bildern – etwa von körperlich sehr anstrengender Arbeit –, wie Helmut Röck von Herbert Tanner betonte auch den innovativen Charakter der Industrie. der WKO-Sparte Industrie betont. Dennoch, die Zahlen in der Lehrlingsbilanz zeigen, so Röck: „Immer mehr junge Menschen sehen die Lehre als passende Berufsausbildung.“ Viele Wege Denn grundsätzlich stehen mit einer Lehre in der Industrie viele Möglichkeiten offen, wie Christoph Urthaler, für die Lehrlingsausbildung bei AVL verantwortlich, unterstreicht: „Wenn man sich anschaut, was es für Möglichkeiten nach der Lehre, aber auch während der Lehre gibt, hat sich da auch vom Image her viel getan.“ Immer mehr junge Menschen würden sich auch für eine Lehre mit Matura entscheiden – denn dadurch stehen auch nach dem Abschluss vielfältige Wege offen. „Das macht die Lehre sehr attraktiv“, so der Experte. Und auch Herbert Tanner, Grazer Standortleiter von Siemens, nennt gleich mehrere Vorzüge dieser Ausbildung: „Ein großer
29. JÄNNER 2023 www.grazer.at eco 23 stehen alle Wege offen“ Es ist ganz egal, ob man eine junge Frau oder ein junger Mann ist: Die Berufe stehen allen offen!“ Christoph Urthaler, Lehrlingsverantwortlicher bei der AVL, hat eine klare Botschaft. Vorteil ist natürlich der starke Praxisbezug. Dass man nicht nur Theorie lernt, sondern das auch zeitnah und unmittelbar anwenden kann.“ Gleichzeitig sei es aber gerade auch wichtig, dass sich die Unternehmen selbst weiterentwickeln – und auch neue Lehrinhalte und Ausbildungen anbieten, etwa die relativ neue Lehre „Applikationsentwicklung und Coding“. „Da ist das Problem, Nachwuchs zu finden, ein geringeres“, so Tanner. Walser bestätigt: „Tatsächlich sind diese neuen Lehrberufe offenbar auch ohne besondere Werbung so populär, dass man einen riesigen Zustrom an Interessenten hat, während klassische Berufe, trotz vielfältiger Möglichkeiten, in Vergessenheit geraten“, so Walser. Wichtig sei es daher, auch in traditionelleren Lehrberufen, etwa der Elektrotechnik, noch attraktiver zu werden, auf Digitalisierung zu setzen – und das auch zu promoten. „Metalltechniker sucht zum Beispiel gerade jeder. Da sind aber am ehesten noch veraltete Bilder einer verstaubten Industrie, die so schon lange nicht mehr existiert, vorhanden“, ergänzt Bernhard Pesenhofer, HR/Business Partner Manufacturing & Head of Facility Management bei Andritz. Hier sei es umso wichtiger, diesen Bildern seitens der Unternehmen „einen etwas moderneren Touch zu geben“, pflichtet er Tanner bei. Dabei müsse man auch nicht immer unbedingt gleich die große Lehre anstreben – auch wenn sich hier viele Chancen bieten. Insgesamt aber werden Fachkräfte dringend gebraucht – und verdienen auch schon gutes Geld. Im 4. Lehrjahr für Metall und Fahrzeugindustrie verdient man etwa schon 1870 Euro, mit Lehrabschluss liegt das Mindestgehalt bei 2566,17 Euro monatlich. „Egal ob Management- oder Fachkarriere, wir sehen das gleichwertig“, betont Pesenhofer. Diversität Stichwort Gleichwertigkeit: Technische Berufe, auch das zeigt die neue Lehrlingsbilanz, werden auch bei Frauen immer beliebter – in der Sparte Industrie ist Metalltechnik mittlerweile sogar der beliebteste Lehrberuf. Warum Unternehmen darauf setzen? Urthaler: „Da sind wir beim Thema Diversität. Stellt man sich vielschichtiger auf, kann man davon ausgehen, dass auch die Produktentwicklung kreativer und vielseitiger wird. Es ist wichtig, auf Dinge von mehreren Perspektiven zu blicken und nichts auszuschließen. Es gibt keine geschlechterspezifischen Grenzen mehr – die Berufe stehen allen offen.“ Paradebeispiel dafür war auch das Podium: Drei der fünf Lehrlinge waren Frauen. Wandel in Sicht Zurück zum Thema der veralteten Bilder der Lehre. „Ich denke, es ist ein gesellschaftspolitisches Problem“, so Urthaler. Immer noch würden viele Eltern ihre Kinder eher zur Matura drängen. „Es geht aber in die richtige Richtung“, so Pesenhofer. „Auch weil der Leidensdruck steigt – mittlerweile spürt jeder, dass uns Fachkräfte fehlen. Schon allein, wenn man selbst Handwerker braucht.“ Auch das würde dazu beitragen, dass die Attraktivität der Lehre In einer Lehre lerne ich nicht nur Theorie – sondern kann das auch zeitnah und unmittelbar anwenden.“ Für Herbert Tanner, Grazer Standortleiter von Siemens, ist der Praxisbezug ein zentraler Vorteil der Lehre. künftig noch weiter steigen wird, prognostizieren die Experten. „Ja, Fachkräfte werden immer gefragter – und können sich die Stellen in der Regel sogar aussuchen“, bekräftigt Röck. Fest steht also, so der einhellige Tenor, eine Lehre in der Industrie lohnt sich – und gibt auch wichtige Sicherheit, wie Urthaler betont: „Damit habe ich zumindest mit 18, wenn meine Ausbildungspflicht abgeschlossen ist, etwas in der Hand – und zwar eine Berufsausbildung. Wo es mich dann hinträgt – da stehen weiter alle Wege offen.“ Alle Lehrstellen Alle Industrielehrstellen finden sich unter: https://www. dieindustrie.at/lehrstellensteiermark/ Herbert Tanner, Herbert Walser, Christoph Urthaler, Bernhard Pesenhofer und Helmut Röck vor der Diskussion in der AVL-Lehrwerkstätte (v. l.) BENJAMIN GASSER (3)
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