2 die seite zwei
2 die seite zwei www.grazer.at 24. DEZEMBER 2023 E D I T O R I A L von Tobit Schweighofer ✏ tobit.schweighofer@grazer.at Analoge Liebe unterm Christbaum S eit hunderten von Jahren gibt es Weihnachten und alle Jahre wieder sehnen wir uns nach Verbundenheit. In Zeiten der uneingeschränkten, in den sozialen Medien vielgepriesenen Selbstliebe kann es schon passieren, dass man zu Weihnachten vor lauter Selfie-Posten plötzlich nur mit einer Handvoll Facebook- Freunden und Instagram-Followern dasteht. Gerade in solchen Momenten wird zu Weihnachten der Wert der anderen erfahrbarer als unterm Jahr. Speziell bei der Familie wird der Zusammenhalt direkt spürbar, wo aber auch die Brüchigkeit sozialer Beziehungen als besonders schmerzlich erlebt wird. Davon sollten wir uns aber nicht abschrecken lassen, sondern ganz im Gegenteil unsere Liebsten umarmen und genau durch diese Brüchigkeit erkennen, wie wertvoll auch andere Menschen sind. Das gemeinsame Foto von der Familie unter dem Weihnachtsbaum kann man dann ja trotzdem posten. Und diese ganz persönliche Erfahrung mit anderen teilen, aber eben nicht aus Selbstzweck. Denn das Teilen im Sinne von Teilhaben-Lassen stiftet Verbundenheit in einer globalisierten und digitalisierten Welt, die noch sehr neu ist und in der wir uns erst gegenseitig wiederfinden müssen. Frohe Weihnachten und genießen Sie die Zeit mit Ihren Liebsten! Tobit Schweighofer, Chefredakteur WEIHNACHTSFRÜHSTÜCK MIT ... Bischof Hermann Glettler frühstückt gemütlich in der bischöflichen Wohngemeinschaft in Innsbruck. Seine Grazer Zeit bleibt unvergessen. KK ... Bischof Hermann Glettler Der Heilige Abend bedeutet für Bischof Glettler vollen Einsatz. Im Frühstück geht’s u. a. um die Frage, warum Gott brutale Kriege zulässt. Bischöfliches Weihnachtsfrühstück wie? Wir frühstücken heute in unserer bischöflichen WG. Es gibt unter anderem selbstgebackenes Schwarzbrot, Kaffee, Eier in verschiedenen Variationen. Der Heilige Abend bedeutet volles Programm. Es geht los zu Mittag in der Caritas-Einrichtung für Menschen mit Suchterkrankungen, der Mentl-Villa in Innsbruck. Da gibt es ein gemeinsames Mittagessen. Dann geht es weiter in die Tiroler Hospizgemeinschaft in Hall. Da halte ich eine Messe für die schwerstkranken Menschen und ihre Angehörigen. Das geht meist sehr tief. Da erlebt man Weihnachten pur. Die Begegnungen mit den Patienten zeigen, wie zerbrechlich unser Leben ist. Am Abend bin ich dann im Integrationshaus in Innsbruck. Da finden sich verschiedene Kulturen, Religionen und vor allem Menschen in Krisensituationen. Ein unglaublicher Mix, und auch hier findet man Weihnachten. Und morgen, am Christtag, geht’s weiter ... Da halte ich im Innsbrucker Dom das festliche Hochamt. Das ist immer sehr feierlich. Bischof werden ist eher selten Berufswunsch von Kindern, was war da Ihr Traumjob? Ich wollte entweder Tischler oder Pfarrer werden. Schließlich wurde ich Pfarrer und blieb das 15 Jahre lang. Dann wurde ich zum Priester geweiht. Klare Gefühle für die Kirche hatte ich schon mit 15. Sie haben die „wilden Jugendjahre“ in Graz verbracht – fad oder spannend? Ich habe schon verstanden, das Leben zu genießen. Ich habe auch viel mit meinen Schulfreunden diskutiert und musste mich oft wegen meiner religiösen Einstellung verteidigen. Das war eine gute Übung für später. Ich war auch ein Jahr in Paris als Pfarrer tätig, im dritten Bezirk, dort, wo das Kunstviertel auf das Rotlichtviertel trifft. Sie waren viele Jahre in Graz Pfarrer? Die Zeit in der St.-Andrä-Pfarre von 1999 bis 2016 war sehr prägend für mich. Es war ein bunter Mix von Menschen. Ich konnte viel umsetzen, etwa das erste Gratis-Lerncafé einrichten. Ich durfte auch sehr viel Kultur in die Pfarre bringen. Ich war immer dafür, dass man Kultur herzeigen muss und sie nicht verstecken darf. Wichtig war für mich die Rolle des Vermittlers für Kulturschaffende im Bezirk. Legendär auch zu Ostern unsere Karfreitagsprozessionen durch den Bezirk Gries. Ich bin öfters in Graz und treffe, wenn es die Zeit zulässt, gerne Freunde von früher. Angesichts der Kriege, Krisen, Hass, Zerstörung fragen sich zu Weihnachten viele: Wo ist Gott, warum lässt er das zu? Gott hat uns Menschen die Freiheit gegeben, auch Kriege anzuzetteln. Aber jeder Krieg ist eine Beleidigung Gottes. Gott bestraft nicht; wer Böses tut, bestraft sich selbst. Der Mensch entscheidet, ob er ein Böser oder ein Guter ist. Die Reformbemühungen von Papst Franziskus sind durch die erlaubte Segnung von Homosexuellen ein Stück weitergekommen. Geht Ihnen das Ganze dennoch zu langsam? Der Prozess ist mühsam, die Weltkirche schwer beweglich. Etwa bei der Frage Diakonat für Frauen muss die Kirche endlich in die Gänge kommen. Ihre Wünsche für das kommende neue Jahr? Mein persönlicher Wunsch wäre es, den Menschen zu versichern, dass sie positiv gestimmt ins neue Jahr gehen. VOJO RADKOVIC Hermann Glettler wurde am 8. 1. 1965 in Übelbach geboren. Er maturierte am Bischöflichen Seminar und Gymnasium in Graz, studierte Theologie und Kunstgeschichte in Graz, Tübingen und München. 1992 wurde Glettler zum Priester geweiht. Papst Franziskus hat Glettler am 27. 9. 2017 als Bischof nach Innsbruck beordert. Glettler zeigt kulturell immer wieder auf, oft auch provokant. Seine Foto-Installation „Schweineherz mit Gummiring“ regte zuletzt gewaltig auf.
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