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17. März 2019

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36 eco www.grazer.at 17. MÄRZ 2019 „Café WIFI“: Schluss mit DEBATTE. Am WIFI in Graz diskutierten Experten über Gegenwart und Zukunft der Lehre. In zwei Punkten waren sich alle einig: Jugendliche ticken heute anders – und die Lehre braucht ein besseres Image. Von Daniel Windisch daniel.windisch@grazer.at Viele Unternehmen klagen über einen Mangel an Fachkräften. Gleichzeitig ist der Kampf um die Lehrlinge so hart wie nie: Denn geburtenschwache Jahrgänge sorgen für Nachwuchs-Not in den Betrieben – und das, obwohl die Lehrlingszahlen in der Steiermark in den letzten Jahren wieder leicht gestiegen sind. Über Gegenwart und Zukunft der Lehre diskutierten am Dienstag im Rahmen eines „Café WIFI“, zu dem „der Grazer“ und das WIFI Steiermark eingeladen hatten, Jasmin Überbacher, Geschäftsleiterin bei der Roth Handel & Bauhandwerker service GmbH, der Jugend- und Familienpsychologe Philip Streit sowie WIFI-Leiter Martin Neubauer. Die Moderation übernahm „Grazer“- Redakteur Daniel Windisch. Für Überbacher, deren Unternehmen 220 Mitarbeiter und 35 Lehrlinge beschäftigt, hat sich in den letzten Jahren vieles verändert: „Die Berufsbilder, natürlich auch die Jugend, Erziehung, Ausbildung, Familien.“ Für Betriebe sei die Herausforderung, wie man damit umgehe. „Früher gab es einen ganz klaren Rahmen bei der Ausbildung“, so Überbacher. Da habe der Ausbilder Anweisungen erteilt und der Lehrling diese widerspruchslos ausgeführt. „Jetzt ist es viel mehr Dialog geworden. Jugendliche sind selbstbewusster geworden.“ Psychologe Streit sieht bei Jugendlichen eine „große Sehnsucht nach Orientierung“, die der Gesellschaft vielfach abhanden gekommen sei. „Viele Jugendliche suchen sich Subgruppen, wo es massiv rigide zugeht, ob das der Piercing-Club oder was anderes ist, ist völlig egal – da gibt es Religionen der Zugehörigkeit.“ Es gebe aber auch „eine große Sehnsucht der Jugendlichen, was zu lernen“. Dafür brauchen die Teenager „gewisse Rahmenbedingungen, die sowohl der Betrieb wie das Elternhaus machen muss“. Besonders im Alter von 14, 15 Jahren sei es „ganz notwendig, dass Be- triebe den Kontakt mit den Eltern suchen“. Dem schließt sich Überbacher an: Die Haltung der Eltern „ist sehr ausschlaggebend für den Werdegang der Kinder“. Geburtenrückgang Was es für Unternehmen zunehmend schwer macht, neue Lehrlinge anzusprechen, hat laut Neubauer einen wichtigen Grund: den Geburtenrückgang. Neubauer: „Früher hätte man vielleicht einen Lehrling rausgeschmissen, weil eh einer nachgekommen wäre. Heute wird es ein bisschen schwieriger, weil heute musst du schauen, alle zu behalten.“ Überbacher sieht die Situation noch prekärer: „Heute muss man sich bewerben als Unternehmen, um überhaupt Lehrlinge zu bekommen.“ Umdenken In einem Punkt sind sich alle einig: Betriebe und vor allem Ausbilder müssen umdenken. „Sie können heute nicht mehr einen Lehrberuf klassisch ausbilden, die Berufe sind Philip Streit, Jasmin Überbacher und Martin Neubauer (v. l.) diskutierten über den Stellenwert der Lehre. LUEF (4) dynamisch, sie verändern sich, neue Technologien kommen dazu“, meint Neubauer. Für Überbacher ist es eine „Herausforderung, die Ausbilder auszubilden, damit sie mit dieser Situation umgehen können“. Dem kann Neubauer nur zustimmen: „Diejenigen, die Bildung vermitteln, sind oft etwas bildungsresistent.“ Ausbilder müssten heute den richtigen Umgang mit Jugendlichen erst lernen, denn diese würden nicht mehr automatisch zu Älteren aufblicken. Für Streit ist klar: „Mit alter Autorität geht es relativ sicher nicht mehr. Der Entscheidende ist der engagierte Ausbilder, und dem muss man helfen, dass er engagiert und stark werden kann.“ „Positiv“ ist für alle Diskussionsteilnehmer das Stichwort schlechthin. „Leistung sollte wieder positiv dargestellt werden“, fordert Überbacher: „Was immer so totgeschwiegen wird, was aber so essenziell ist, ist der Leistungswille. Ein Problem zu lösen, ist das, was Begeisterung schafft.“ Hart zu arbeiten, fleißig zu sein „ist ein entscheidender Punkt fürs Wohlbefinden“, bestätigt Streit. „Zum Glück gehört dazu, dass man nicht nur eine Beziehung hat und sich gut fühlt, sondern auch dass man Ziele erreicht und arbeitet.“ Imagewandel Überbacher liegt ein Punkt am Herzen: Die Lehre brauche ein besseres Image, doch bei vielen (jungen) Menschen habe die Lehre keinen guten Ruf. Es gebe zahlreiche Angebote, aber die seien für viele noch nicht so attraktiv. Als Beispiel nennt Überbacher die Lehre mit Matura: Hier hätten es Eltern und Lehrlinge gleich mit drei Organisationen – Betrieb, Berufsschule und Schule – zu tun, das überfordere die Betroffenen oftmals. Überbacher würde dieses Modell gerne „einfacher gestalten“ und wünscht sich dafür eine engere Kooperation der Bildungsanbieter in Österreich. Neubauer und Streit meinen hingegen mit Blick auf die jüngsten Statistiken, „dass der Lehrberuf wieder viel attraktiver wird“. Allerdings gebe es noch viel Luft

17. MÄRZ 2019 www.grazer.at eco 37 Klischees über die Lehre Fotos und Video auf www.grazer.at Jasmin Überbacher, Martin Neubauer und Philip Streit im Gespräch mit „Grazer“-Redakteur Daniel Windisch LUNGHAMMER nach oben: Das alte Stereotyp vom gescheiten Studenten und vom dummen Lehrling sei nach wie vor da, sagt Streit. „Du kriegst die Klischees nicht aus dem Kopf“, verweist Neubauer aufs Bild des „ölverschmierten“ Kfz-Technikers, das längst nicht mehr der Realität entspreche, da der Beruf heute etwa auch Programmierkenntnisse erfordere. Überbacher sieht hier einmal mehr die Eltern gefordert: „Es sind wieder die Eltern, die diese Stereotypen im Kopf haben und die natürlich auf ihre Kinder einwirken.“ Jasmin Überbacher Roth Handel & Bauhandwerk Lehre war in den letzten Jahren nicht so sexy wie die Höhere Schule. Die Berufsbilder verändern sich, aber wir zeigen viel zu wenig die Möglichkeiten auf.“ Martin Neubauer WIFI Steiermark Wir kriegen es nicht in die Köpfe, dass die Lehre mit der Matura gleichwertig ist im europäischen Kontext. Das sollte man Lehrlingen stärker kommunizieren: Du bist gleich viel wert.“ Philip Streit Institut für Kind, Jugend und Familie Das Wichtigste ist, dass man eine Kultur der Begegnung schafft, dass man Jugendliche so nimmt, wie sie sind, aber unter ganz klaren Rahmenbedingungen.“ www.grazer.at präsentiert

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