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16. April 2023

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- Grazer Weltkulturerbe zerbröselt - Park&Ride in Graz-Webling ist heillos überfüllt - Unterschriften gegen Wohnbau in Premstätten - Dramatisch: Kind kam in Grazer Möbelhaus zur Welt - Katze Katze wird Zirkus - Runder Tisch mit Finanzdienstleistern

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24 eco www.grazer.at 16. APRIL 2023 Eine neue Normalität kehrt in Markus Kohlmeier, Gerald Gollenz, Michael Kaiser, Christian Helmenstein, Johannes Tratz (v. l.) ALLE FOTOS: SCHERIAU RUNDER TISCH. Mensch und Wirtschaft befinden sich in einer herausfordernden Zeit. Beim Runden Tisch der Finanzdienstleister prognostizieren fünf Experten teilweise ernüchternde Entwicklungen. Von Gudrun Angerer gudrun.angerer@grazer.at Der zuletzt vom „Grazer“ ausgerichtete und moderierte Runde Tisch beschäftigte sich mit der Rekordinflation, Zinserhöhungen und Auswirkungen auf Wohnbaufinanzierung, Kapitalanlage und Pensionsvorsorge. Fünf Experten aus dem Finanzdienstleistungssektor waren vertreten, die sich rege über die wirtschaftliche Lage austauschten: Christian Helmenstein, Chefökonom, Industriellenvereinigung, Michael Kaiser, Vorstand der BWS Gemeinnützige allgemeine Bau-, Wohn- und Siedlungsgenossenschaft, Gerald Gollenz, Obmann KommR Fachverband Immobilien- und bau und Altersvorsorge wieder leistbar zu machen. Denn die Prognose vieler Experten, der rasante Inflationsanstieg sei ein temporäres Phänomen und die Inflationsrate werde sich bald wieder normalisieren, blieb ein Trugschluss. In Österreich lag die Inflation zuletzt bei elf Prozent. Die gelockerten Vergaberichtlinien haben indes mäßige Effekte erzielt. Laut Kohlmeier verliere die KIM-Verordnung ihre Aktualität, was der Experte damit argumentiert, dass sie in einem früheren Umfeld, ganz anderen volkswirtschaftlichen Zeiten, entstanden sei – vor Covid und der Ukraine-Krise. Nun schlage sie über die Stränge. Zudem seien nicht Zinsen das große Thema der Ausnahmesituation, in der wir uns befinden, sondern die Verunmöglichung des Schaffens von Eigentum. Selbst in Graz gibt es Immobilienpreise, die vor wenigen Jahren noch unvorstellbar gewesen wären. Tratz sieht die Problematik bei einer Zwischenfinanzierung, die am Papier möglich ist, aber nur mit 80 Prozent des Wertes, den die Bank anerkennt. Eigen- Vermögenstreuhänder, Markus Kohlmeier, Obmann Fachgruppe Finanzdienstleister WKO Steiermark, Johannes Tratz, Ausschussmitglied Fachgruppe und Experte für Immobilienfinanzierung. Im Mittelpunkt stand die Frage, welche Auswege es aus der Inflationskrise gibt, um durch individuelle Finanzplanung Wohnbaufinanzierung, Vermögensaufmittel in Form von Immobilien werden dabei nicht anerkannt. Früher wurde so etwas über die Zwischenfinanzierung gelöst. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Immerhin würden diese Vorgaben nur einzelne Banken in ihre Schranken weisen, die Nachfrage würde sinken, das Angebot werde jedoch nicht billiger, da man volkswirtschaftliche Phänomene nicht auf den Immobilienmarkt übertragen könne, so Gollenz. „Die KIM-Frage hätten wir nicht gebraucht.“ Partielle Krisen Auf Basis der österreichischen Finanzierungsmöglichkeiten gibt es keine Krise. Junge Menschen bekommen kein Geld, die Immobilienpreise bleiben hoch. Es gibt Banken, die aus dem Ausland in Österreich hineinfinanzieren, andere Modalitäten und Laufzeiten aufweisen und sich nicht an die KIM-Verordnung halten müssen. Helmenstein sieht mehrere Faktoren, die stark negativ im Wohnbereich bei Krediten wirken. Das große Preisniveau bei gebrauchten und neuen Bestandsimmobilien etwa sowie die massiven Preissteigerungen bei den Baukosten und der inflatorische Effekt der Mietpreisinflation. Unter den Diskussionsteilnehmern herrscht Einigkeit darüber, dass noch Jahre bis zur Expansion vergehen werden. „Das Ausmaß bei den Einbrüchen in der Neukreditvergabe im Juli 2022 ist ein Minus von 52 Prozent. Damals sprach man von einem ,einmaligen Einbruch‘. Dieser blieb eine nicht eingetretene Beruhigung.“ Die Lage verschlimmerte sich noch bis hin zu 72-Prozent-Einbrüchen. Fast drei Viertel an Neubauvolumina gingen verloren. Die Auswirkungen würden uns noch die nächsten Jahre beschäftigen. Mit einer langen Phase der verringerten Wohnbautätigkeit sei zu rechnen. In bestimmten Lagen Österreichs gibt es extrem ambitionierte Preisniveaus, lageabhängig im zweistelligen Bereich. Es wird ein mehrjähriger Anpassungsprozess vonstatten gehen, wo es zu Preisanpassungen kommen wird, auch darüber herrscht Konsens. Zunächst wird die Kaufkraft sinken, es wird nach einer Marktbereinigung einen Aufwärtstrend geben, so Helmenstein. Die realwirtschaftlichen Auswirkungen betreffen unter anderem auch die Bauwirtschaft. In jedem Teil

16. APRIL 2023 www.grazer.at eco 25 die heimische Wirtschaft ein könnte es deutliche Beschäftigungsrückgänge geben und noch weiter steigende Insolvenzzahlen. Neben einer rezessiven Anpassungsphase kommt es zu einer partiellen Rezension. Gollenz stimmt Helmenstein großteils zu, ist jedoch nicht der Meinung, dass sich der Immobilienmarkt in der Größenordnung preislich ändern wird und es zu einer Abwärtsbewegung kommt. Wahrscheinlich sei, dass Fonds aus dem Ausland wegfallen und damit ein großer Teil des Volumens. Die Bauwirtschaft selbst würde nicht leiden, wenn es schaffbar ist, die gesetzlichen Rahmenbedingungen einzuhalten, etwa bei Sanierungen. Auch Gollenz geht davon aus, dass die Krise partiell verlaufen wird, nicht großflächig. Kohlmeier weist auf ein Thema hin, das oftmals vergessen wird: die Altersvorsorge – und damit auch einem Immobilienthema. Aufgrund der gestiegenen Preise behalten sich Kunden eher ihre Reserve, anstatt zu verkaufen. Der Großteil der österreichischen Haushalte ist von der Geldentwertung betroffen. Sie befinden sich in einer doppelt schlechten Position. In Österreich ist im Vergleich zu anderen Ländern der Anteil des Mietsektors neben dem Eigentumssektor immer groß gewesen. „Österreich war immer ein dualer Immobilienmarkt“, fasst es Gollenz zusammen. „Alternativ zum Eigenheim gibt es die Miete und die Frage nach dem, was in der Pension bleibt. Menschen werden gezwungen sein, Wohnfläche zu reduzieren.“ Er teilt eine interessante Beobachtung. So gab es in den letzten 15 Jahren kaum die Norm, die über einen Wohnungskauf nachdachte. Da kam vor den Krisen noch ein wenig Bewegung herein. Gleichzeitg war auch die Verunsicherung bei Immobilien-Interessenten noch nie so groß wie jetzt gerade während der Krisen. „In meinen 35 Jahren habe ich noch nicht so eine vergleichbare akute Unsicherheit erlebt.“ Welt im Wandel Kohlmeier gibt auch eine gesamtgesellschaftliche Komponente zu bedenken: die Qualität der Gewohnheit im menschlichen Verhalten. So hätten wir verlernt, dass wir uns eigentlich seit Jahren in einer Ausnahmesituation befinden. „Nun gehen wir zu einer Normalität zurück. Mit dem Wohlstand waren wir die letzten Jahre verwöhnt.“ Es müsse ein Umdenken der Gesellschaft stattfinden. „Wohlstand kommt nicht von irgendwoher. Er ist eine Leistung für die Gesellschaft“, so Kohlmeier. In den Vordergrund rücken müsse man auch die bislang vernachlässigte Finanzbildung und wirtschaftliche Bildung. „Ein privater Lebensentwurf steht uns zu. Die KIM-VO hat vom Gesetzestext her den Zugang zu variabler Kreditaufnahme gefördert“, lenkt Tratz ein. „Wir wissen, dass eine Bank keine karitative Einrichtung ist, aber Kunden wird es nicht leichtgemacht, sich für einen Fixkredit zu entscheiden“, Christian Helmenstein, Michael Kaiser, Gerald Gollenz, Johannes Tratz und Markus Kohlmeier (v. l.) im Austausch über akute Herausforderungen bestätigt Kohlmeier. KIM-VO passt nicht zu zunehmendem Vermögensstand und Lebenserwartung. Kaiser bestätigt die Betroffenheit des gemeinnützigen Wohnbaus von der aktuellen Marktlage und Kreditfinanzierung: „Wir sind auch von den Baukosten entsprechend beeinflusst. Das Kostendeckelprinzip bringt auch unsere Endkunden in eine fordernde Lage.“ Entsprechend groß ist die Belastung, wenn es zu einer doppelten Belastung durch die monatlichen Raten kommt. „Wir versuchen, mit beherrschbaren Kosten einen entsprechenden Einfluss zu haben für strategische Steuerungsmaßnahmen.“ Genossenschaften sind ein wesentliches Element in Krisenzeiten und berufen, Lösungen zu finden. Früher musste man 17 Halbjahre für eine Wohnung sparen. Nun sind es 23. Inflationsdimensionen In der Eurozone herrscht Inflationsungleichheit: Die Inflationsraten verlaufen vom niedrigen einstelligen bis zum hohen zweistelligen Bereich. Die Situation in anderen Ländern ist teilweise nicht mit der Situation in Österreich vergleichbar. Es gibt Einzelfälle, etwa die Schweiz mit einem hohen Regulierungsgrad auf vielen Sektoren. Dass wir gegenüber einzelnen Nachbarländern wie Deutschland schlechter dastehen, hat auch systematische Gründe. Wir waren etwa spendabel bei der Covid-Abfederung. Zusätzlich kommt es zu einem Nachfrageeffekt, wie FÜNF analysiert. Ein geringeres Angebot, begleitet von einem Nachfrageüberhang. Ein systematisches Problem ist die hohe Regulierungsdichte, regulatorisch bedingte Kosten und die Energiewende, höhere Baukosten pro Quadratmeter sowie auch das, was der Gastronomie und Hotellerie zuletzt alles auferlegt wurde. Investitionen mussten rückverdient werden. Das alles führt zu einem Kostenschub und höherer Inflationsdynamik. Wettbewerb komme uns in Österreich mitunter verdächtig vor. Johannes Tratz Christian Helmenstein Michael Kaiser Markus Kohlmeier Gerald Gollenz

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